Digitalisierung der Rechtsberatung: Michael Friedmann im XXL-Interview (Teil 2)

Digitalisierung der Rechtsberatung: Michael Friedmann im XXL-Interview (Teil 2)

14. September 2018 Digitalisierung Legal Tech 0

Im zweiten Teil des Interviews spricht Rechtsanwalt Michael Friedmann über die Idee und Umsetzung der Rechtsberatungsflatrate „Prime Legal“, den Einsatz von KI-basierter Assistenzsoftware in der Rechtsberatung sowie über die Auswirkungen, die ihr Einsatz auf die anwaltliche Arbeit haben wird. Das Interview endet mit einer Prognose über die Entwicklung der Rechtsberatung.

 


Zur Person: Bereits seit dem Jahr 2000, also seit den Anfängen des Internets, betreibt Rechtsanwalt Michael Friedmann die Digitalisierung des Rechts. 

Im Bereich der Online-Rechtsberatung führen seine Webseiten 123recht.net und frag-einen-anwalt.de über 2 Mio. Forenbeiträge und knapp 200.000 durchgeführte Rechtsberatungen. Mit seinem aktuellen Projekt „Prime Legal“ bietet der Legal Tech-Pionier schon heute eine anwaltliche Rechtsberatungsflatrate für 80 €/mtl.

Möglich macht das eine durch künstliche Intelligenz gestützte Rechtsberatung in Kooperation mit IBM´s Watson. Immer wieder ist Michael Friedmann gefragter Referent auf verschiedenen Legal Tech Konferenzen.


Florian: Du hast euer neustes Produkt Prime Legal bereits erwähnt. Ich habe mich gefragt, welchen Einfluss das gewonnene Verfahren gegen Kelsen [Anm. d. Red.: Das Start-Up Kelsen wollte seinen Nutzern mit einem selbstlernenden Algorithmus kostenlose Antworten auf ihre Rechtsfragen geben] darauf hatte. War das quasi eine Initialzündung für Prime Legal oder hattet ihr schon vorher die Idee das irgendwann mal hochzuziehen?

Micha: Also wir hatten uns zu dem Zeitpunkt tatsächlich schon mal damit beschäftigt, haben es aber als technisch nicht realisierbar zurückgestellt, weil zu dem Zeitpunkt Watson oder jegliche KI anderer Anbieter für die deutsche Sprache nicht lokalisiert war. Als dann Kelsen angekündigt hat, dass die das jetzt machen, haben wir schon ganz genau hingeschaut und uns gefragt, wie die das machen wollen. Technisch war das zu diesem Zeitpunkt einfach nicht möglich.

Wir haben dann sehr schnell herausgefunden, dass sie in der Nacht vor dem Demoday im Grunde genommen einfach nur unsere Datenbank kopiert haben. Das konnten wir sogar anhand des letzten Eintrages nachvollziehen, den sie kopiert hatten. In dieser Nacht hatten wir nämlich gerade eine Frage in Bearbeitung. Bei uns steht als Antwort dann immer: „Diese Frage ist gerade in Bearbeitung.“ Auch das hatten sie kopiert und dann war es ziemlich einfach auch nachzuweisen, wann sie die Kopie hergestellt hatten. Kelsen war am Ende einfach nur eine Volltextsuche, die sie über unsere Inhalte haben laufen lassen.

Die Zündung zu Prime Legal kam daher eher beim ersten Anwaltszukunftskongress von Soldan und Wolters Kluwer in Köln vor zwei Jahren. Ich war dort Speaker und auch Stefan Mueck, der CTO von Cognitive Solutions von IBM, hat dort einen Vortrag über IBM und Watson gehalten, noch ohne jeglichen Bezug zu Legal. Beim Speakers-Diner saß ich mit ihm zusammen an einem Tisch und wir unterhielten uns, da erzählte er mir: „Ja Mensch, nächstes Jahr kommt die Lokalisierung von Watson auf Deutsch und wenn ihr Bock habt das zu machen, sag mir Bescheid. Wir unterstützen euch, weil euer Content im Grunde optimal für Watson ist.“

Letztes Jahr, im April 2017 meine ich war das, wurde Watson dann auf Deutsch lokalisiert. Daraufhin habe ich Stefan angerufen und gesagt: „Jetzt können wir loslegen“. Das war eigentlich unser Startschuss für das Projekt.

Florian: Du hast in dem Zusammenhang von einer Klonarmee von Anwälten gesprochen. Es geht also darum das Bearbeitungsniveau der Anwälte zu standardisieren?

Micha: Die Notwendigkeit für das Projekt kam dadurch, dass wir zwei Jahre lang an einem neuen Produkt gearbeitet haben, der Frag-den-Anwalt-Flatrate. Wir haben gesehen, dass es bei uns viele Mandanten aus dem gewerblichen Bereich gibt, die häufig Fragen haben, die wiederkehrend sind und die sich auch immer wieder gut überlegen, welche Frage sie jetzt stellen und welche nicht. Es gibt wahnsinnig viele kleine Unternehmen, die ihren Rechtsproblemen nicht nachgehen, weil sie sich einfach nicht trauen beim Anwalt anzurufen, entweder weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben oder weil es zu teuer ist. Das sind alles Sachen, die nicht von irgendeiner Rechtsschutzversicherung abgedeckt sind. Ich habe dann gesagt: Lasst uns für diese Leute eine Rechtsberatungs-Flatrate machen – 80,00 Euro im Monat. Bei diesem Preis müssen wir die Anwälte dann dabei unterstützen, dass sie diese Fragen schneller beantworten. Das war eigentlich der Grund, warum wir dieses KI-Projekt forciert haben.

Florian: Divergiert das Bearbeitungsniveau der bei euch beantworteten Fragen aber nicht stark? Was macht ihr, wenn eine Frage bereits doppelt, dreifach oder noch öfter beantwortet wurde? Welche der Antworten ist dann richtig?

Micha: Das Gute bei unseren Datensätzen ist tatsächlich, dass wir so gut wie keine falschen Antworten haben. Das kommt daher, dass die Antworten öffentlichen im Netz sind. Du kannst davon ausgehen, dass jede Antwort, die eingestellt wird, mindestens von fünf, aber eher von noch mehr Anwälten, gelesen wird.

Zudem gibt es ein internes Kommunikationssystem, wo ein Anwalt schreiben kann: „Sorry Herr Kollege, das stimmt nicht, was Sie da geschrieben haben. Kennen Sie nicht das neue BGH-Urteil oder oder oder.“ Dann hat dieser Anwalt die Möglichkeit seine Antwort zu ergänzen und nachzuschieben: „Ach ich habe jetzt nochmal nachgeschaut und die Antwort ist doch ganz anders.“

Das ist ein extremer Vorteil eines so transparenten Systems. Womit wir eher ein Problem haben sind Antworten, die durch Zeitverlauf falsch werden, weil es Gesetzesänderungen gab, weil es vielleicht Rechtsprechungsänderungen gab. Das ist tatsächlich ein Problem.  Das können wir aber über einen Content Review lösen und über eine Gewichtung der Antworten, etwa in dem wir sagen: „Watson, du musst neueren Antworten größere Relevanz zuordnen als älteren.“

Florian: Wo steht ihr gerade bei Prime Legal und was sind die Rechtsgebiete in denen ihr dann aktiv seid?

Micha: Bei der Kanzlei, die aktuell die Flatratefragen beantwortet, ist die Watson Unterstützung in einer geschlossenen Beta-Version. Dabei erzielen wir sehr gute Erfolge in den Hauptrechtsgebieten, in denen wir viele Inhalte haben, in den Randgebieten ist es nicht so gut. Das liegt auf der Hand, weil wir dort einfach nicht genug Inhalte haben.

Der Zeitplan sieht so aus, dass wir im Laufe des Jahres allen Anwälten unserer Plattform die Watson-Unterstützung anbieten wollen. Der Anwalt bekommt sein Wissen dann durch die Datenlage bestätigt. Er kann die Formulierungen übernehmen, muss nicht recherchieren und spart einfach viel Zeit. So haben wir die durchschnittliche Bearbeitungszeit für eine Frage durch die Nutzung von Prime Legal um 50 % verringert. Nicht in allen Rechtsgebieten, aber in vielen. Dann rechnet sich die Bearbeitung für den Anwalt und der Mandant kriegt womöglich eine noch bessere Antwort, weil diese aus unserem riesengroßen Datenpool generiert ist.

Im letzten Schritt werden wir auch für die Anwälte ein Produkt launchen, die bisher keine Kunden von Frag-einen-Anwalt sind, weil sie unsere Plattform einfach nicht interessant finden. Auch diese Anwälte können dann die Prime Legal-Unterstützung buchen und damit ihre eigenen Rechtsfragen beantworten.

Florian: Wird dann jeder Anwalt in Deutschland eure KI-Unterstützung benötigen, um überhaupt noch kostengünstig arbeiten zu können bzw. Rechtsberatung zu dann marktüblichen Preisen anbieten zu können?

Micha: Nein, das glaube ich nicht. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, unser Tool muss sich jetzt jeder Anwalt kaufen, ansonsten kann er seine Kanzlei zumachen. Ich denke es wird zukünftig verschiedene Arten von Assistenzsystemen geben. Für den einen ist das gut, für den anderen das.

Es gibt ja heute noch Anwälte, die keinen Computer benutzen wollen oder sich jede E-Mail ausdrucken lassen oder die auf ihr Faxgerät schwören. Die meisten Anwälte wollen das BeA nicht haben. Ich glaube nicht, dass es zwingend notwendig sein wird, dass man Assistenzsysteme zur Arbeit benutzt. Aber ich glaube, dass sie mittelfristig von den meisten Anwälten benutzt werden, genauso wie heute fast jeder Anwalt Juris benutzt. Zukünftig wird es schlauere Assistenzsysteme als Juris geben, die vielleicht auch schon sagen können, was du suchst, weil du es selbst noch gar nicht weißt. Heute musst du schon ganz genau wissen, was du suchst, sonst findest du es nie. Zukünftig wird es für jeden Anwalt das richtige Assistenz- oder mehrere Assistenzsysteme geben.

Florian: Was ist also deine Prognose für die Entwicklung der Rechtsberatung in den kommenden Jahren?

Micha: Ich denke, dass künftig vor allem die Anwälte Assistenzsysteme benutzen werden, die ihren Fokus anders setzen wollen, nämlich darauf, mehr Zeit für den Mandanten zu haben.

Die Unzufriedenheit der Mandanten kommt ja nicht dadurch, dass die Anwälte schlecht beraten – im allergrößten Teil ist das jedenfalls nicht der Fall. Die Anwälte sind so belastet mit der Arbeit und haben so viele Sachen auf dem Tisch liegen, dass sie schlichtweg keine Zeit haben, sich um die Mandanten zu kümmern. Daher kommt die Unzufriedenheit. Wenn man sich Studien dazu durchliest, heißt es meist: „Ich kann meinen Anwalt nicht erreichen; er hält sich nicht an abgemachte Deadlines; die Gesprächsdauer ist einfach zu kurz, ich kann meine Sorgen gar nicht loswerden“. Das ist eigentlich das Problem, was wir als Anwälte in der Zukunft lösen müssen.

Wir machen ja schon seit vielen Jahren Automatisierung und ich kann mit großer Gewissheit sagen, dass die Nutzer darauf nicht uneingeschränkt abfahren. Am liebsten möchte ein Nutzer, wenn er denn ein Dokument erstellen muss, kurz mit jemanden darüber sprechen, der ihm einfach sagt: „Das ist überhaupt gar kein Problem; das kriegen wir hin.“ Das ist etwas, was auch in Zukunft gefragt bleiben wird.

Als Anwalt muss ich mich daher künftig fragen, welchen Vorteil ich gegenüber einem Computer, einer Maschine oder einer automatischen Prüfung habe. Ich glaube, der Hauptvorteil der Anwälte ist die Empathie, die man einem Mandanten entgegenbringt. Das ist auch das, was wir den Anwälten ermöglichen möchten und was sie vielleicht auch erst wieder lernen müssen, weil sie aktuell überhaupt gar keine Zeit dafür haben. Wenn wir das schaffen, dann glaube ich, ist die Zukunft der Anwaltschaft gesichert.

Florian: Micha, danke für das Gespräch.

Micha: Ich habe zu danken.

News vom Legal Tech Inkubator Hannover