Digitalisierung der Rechtsberatung: Michael Friedmann im XXL-Interview (Teil 1)

Digitalisierung der Rechtsberatung: Michael Friedmann im XXL-Interview (Teil 1)

10. September 2018 Digitalisierung Legal Tech 0

Im vergangenen Sommersemester 2018 stellte Rechtsanwalt Michael Friedmann den Teilnehmern der Legal Tech Veranstaltung an der Uni Hannover seine KI-basierte Software Prime vor. Zum Ende der Veranstaltung konnten die Kursteilnehmer/innen dann sogar selbst als Human Annotators die Arbeit mit dem IBM Watson Discovery Service und dem IBM Knowledge Studio aufnehmen und so den Anwendungspotentialen, aber auch den Funktionsgrenzen künstlicher Intelligenz praktisch nachspüren.

Im ersten Teil dieses Interviews spricht er nun über seine eigenen Anfänge als Jurastudent, die Ursprünge von 123recht.net, Vorbehalte gegenüber Legal Tech im Jahr 2002 und die Entwicklungen, die sein Unternehmen und die gesamte Branche seit dieser Zeit genommen haben.

 


Zur Person: Bereits seit dem Jahr 2000, also seit den Anfängen des Internets, betreibt Rechtsanwalt Michael Friedmann die Digitalisierung des Rechts. 

Im Bereich der Online-Rechtsberatung führen seine Webseiten 123recht.net und frag-einen-anwalt.de über 2 Mio. Forenbeiträge und knapp 200.000 durchgeführte Rechtsberatungen. Mit seinem aktuellen Projekt „Prime Legal“ bietet der Legal Tech-Pionier schon heute eine anwaltliche Rechtsberatungsflatrate für 80 €/mtl.

Möglich macht das eine durch künstliche Intelligenz gestützte Rechtsberatung in Kooperation mit IBM´s Watson. Immer wieder ist Michael Friedmann gefragter Referent auf verschiedenen Legal Tech Konferenzen.


 

Florian: Hallo Micha, vielen Dank für deine Zeit. Erzähl mir von den Ursprüngen von 123recht.net. Wie bist du auf die Idee einer Rechtsberatungs-Plattform gekommen?

Micha: Hallo Florian, damals, als ich im ersten Semester war, da hatte ich ein Verfahren wegen Unfallflucht. Ich bin damals beim Parken gegen ein anderes Auto gefahren, habe das nicht gemerkt und bin weggefahren. Zum Glück gab es aufmerksame Bürger, die das gesehen haben und mich gemeldet haben.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch gar keine Berührungspunkte mit Anwälten und habe mir deshalb irgendeinen Anwalt genommen. Halt einen Bekannten von Bekannten. Ich saß dann in der Verhandlung vor dem Jugendrichter und es war sehr offensichtlich, dass sowohl der Staatsanwalt als auch der Richter mir eigentlich nur ein bisschen den Kopf waschen und mich dann freisprechen wollten. Mein Anwalt hat sich aber so bescheuert angestellt, der wollte noch Zeugen aufrufen und hat das einfach nicht geblickt. Irgendwann meinte dann auch der Richter zu ihm: „Wenn Sie alles unbedingt so genau nehmen wollen, dann machen wir hier halt eine Einstellung mit Arbeitsstunden.“

Das war für mich so ein Erlebnis, wo ich für mich dachte: „Bei der Rechtsberatung steht man total auf dem Schlauch“. Aus meinem Wirtschaftsstudium kannte ich das so nicht. Da gilt sonst überall Angebot und Nachfrage, da gibt es die magische Hand von Smith, die das alles ordnet. Das war der Grund, warum ich mir 1999 überlegt habe, dass könnte man gut mit dem Internet machen. Da habe ich mich dran erinnert und gesagt: Okay du musst hier Transparenz im Bereich Rechtsberatung schaffen. Sonst kommen die Leute zu irgendeinem Anwalt, sitzen wie ein Kaninchen vor der Schlange und der Anwalt macht irgendetwas, kein Mensch weiß was. Am Ende bekommst du dann eine Rechnung, ganz gleich, ob das Ergebnis gut oder schlecht war, deren Höhe dir bis zu diesem Zeitpunkt komplett unbekannt ist.

So kam dann die Idee zu 123Recht.net. Ratsuchende informieren sich im Internet selbst über ihr Rechtsproblem und möchten dabei zunächst nur die Frage beantwortet wissen: „Habe ich ein Rechtsproblem, benötige ich einen Anwalt, welcher ist der Beste für mein Problem und was kostet mich das Ganze.“ Das war im Grunde genommen die Geburtsstunde von 123Recht.net im Jahr 2000.

Florian: In der Kanzlei, in der ich früher gearbeitet habe, haben wir mit den Gründern von advocado zusammen gesessen und die haben Ähnliches erzählt. Auch dort ging es um fehlende Transparenz in der Rechtsberatung. Meine provokante Frage: „Wenn Ihr mit eurer Plattform bereits im Jahr 2000 angefangen habt, wieso gibt es dann jetzt mit advocado, aber auch anwalt.de Plattformen, die ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgen? Habt ihr nicht alle Kunden am Markt angesprochen?

Micha: Der große Unterschied zwischen all diesen Plattformen und uns ist, dass wir die Mandanten in den Fokus stellen und nicht den Anwalt. Die anderen probieren alle Dienstleistungen zu machen, die für den Anwalt gut sind. Wir gucken extrem aus Mandantensicht und sagen, „wenn der Mandant zufrieden ist, dann ist der Anwalt auch zufrieden.“ Andersrum funktioniert das nicht. Wenn nur der Anwalt zufrieden ist, heißt es lange noch nicht, dass auch der Mandant zufrieden ist. So entwickeln wir unsere Produkte und das ist der große Unterschied.

Dabei sind wir nicht angewiesen auf irgendwelche Jahresgebühren, die wir von den Anwälten bekommen, wie beispielsweise anwalt.de oder auch andere. Die müssen sich immer auch fragen: „Kann ich das jetzt einführen oder springen mir dann meine Kunden ab, weil die das gar nicht wollen“? Wir haben da nie Rücksicht drauf genommen und waren deshalb auch die ersten, die Anwaltsbewertungen gemacht haben. Vorher haben alle gesagt, das können wir nicht machen, da gehen die Anwälte steil, die wollen sich nicht bewerten lassen. Aber uns war das egal. Das ist wichtig für den Mandanten, der braucht diese Transparenz. Das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere gesamte Plattform durch. Wir denken und gucken immer von den Mandanten aus und nicht, was ist das Bedürfnis des Anwalts. Deswegen setzen wir auch Technologie ein, die es dem Ratsuchenden ermöglicht seine Rechtsprobleme teilweise selbst zu lösen.

Florian: Auch heute gibt es Vorbehalte gegenüber Legal Tech, gerade auch in der Anwaltschaft. Wie muss das erst 2002 gewesen sein, als ihr die ersten Anwälte überzeugt habt, bei eurer Plattform mitzumachen?

Micha: Wir sind damals im Juni 2000 mit 123Recht.net online gegangen. Damals waren wir zunächst nur ein Online-Magazin, wo sich Ratsuchende über ihre rechtlichen Probleme einfach erstmal informieren können. Wir haben viel Content hergestellt, hatten ein Diskussionsforum. 2002 haben wir dann das erste Produkt für Anwälte an den Start gebracht, mit welchem diese Direktanfragen annehmen und sich eine eigene Homepage über unser System bauen konnten. Wir hatten echte Homepagebilder in unserem System, die Anwälte konnten selbst Artikel schreiben. Zu diesem Zeitpunkt war das ein Teufelszeug. Zum überwiegenden Teil haben die Anwälte gedacht, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Internet wieder abgeschaltet wird. Das kann man sich gar nicht vorstellen, aber für die waren wir eine Krankheit. Der Standardspruch den ich immer gehört habe, war: „Ich brauche das nicht. Meine Mandanten gehen nicht ins Internet.“

Dabei hatten wir zwischen 2001 und 2002 schon 100.000 Nutzer im Monat auf unserer Plattform. Es war also schon ein Angebot, was durchaus angenommen wurde. Von solchen Zahlen träumen andere heute noch. Doch die Anwälte haben es kaum angenommen. So war es auch mit Artikeln, die Anwälte veröffentlichen sollten. Die ersten Anwälte haben uns gefragt, was wir denn dafür zahlen, dass sie Artikel schreiben. Daraufhin meinten wir: „Ne, ihr könnt froh sein, dass ihr uns nichts zahlen müsst, weil es gut für euch ist. Ihr kriegt dann mehr Nachfrage.“ Das war echt ein schwieriges Umfeld.

Unsere ersten 200 Kunden kenne ich eigentlich alle persönlich, weil ich mehrstündige Verkaufsgespräche bei denen in der Kanzlei geführt habe, um zu erklären, dass das jetzt wirklich nicht so schlecht ist wie sie glauben. Dass die 300 DM, die so eine Mitgliedschaft bei uns im Jahr gekostet hat, gut angelegtes Geld sind. Ich weiß auch nicht, ob die Leute damals tatsächlich überzeugt waren oder einfach nur Mitleid mit mir hatten.

Nach den ersten 200 Kunden wurde es dann etwas einfacher, weil immer wieder Leute gesagt haben, „Oh Mensch, den kenne ich ja, der ist ja auch dabei, dann probiere ich das auch mal aus.“ Der richtige Durchbruch war aber erst 2004. Da haben wir Frag-einen-anwalt.de gelauncht, wo die Ratsuchenden ihre Frage öffentlich in die Plattform gestellt haben und Anwälte gegen Geld darauf auch öffentlich geantwortet haben. Plötzlich war für jedermann sichtbar: „Mensch, da gibt es tatsächlich verrückte Menschen in diesem Internet, die ihre rechtlichen Probleme auf so einer Plattform einstellen und nicht sofort zum Anwalt laufen“. Ab diesem Zeitpunkt war es kein Problem mehr auch Anwälten glaubhaft zu machen, dass Rechtsberatung über das Internet funktioniert.

Als nächsten Schritt haben wir dann Festpreise für die Erstberatung entwickelt, damit Ratsuchende besser einschätzen können, was es denn kostet, einen Anwalt zu konsultieren. Vorher waren die Hemmschwellen riesig. Irgendwann haben wir uns dann gesagt: „Warum muss eigentlich der Anwalt sagen, was etwas kostet? Wieso kann nicht ein Ratsuchender sagen: Ich habe nur 50,00 Euro, gibt es irgendeinen Anwalt, der mir auch für diesen Preis meine Frage beantworten kann?“

Aus dieser Mission heraus, dem Ratsuchenden möglichst schnell, preiswert und qualitativ hochwertig seine Probleme zu lösen, sind immer wieder neue Produkte entstanden. Das war der Fall mit den Anwaltsbewertungen, es war der Fall mit der Rechtsberatung über Frag-einen-Anwalt und jetzt mit der Rechtsberatung-Flatrate. Das sind alles Produkte, die es so in dem Markt noch nie gegeben hat, wo wir einfach gesagt haben: „Das ist eine gute Sache und das braucht ihr und deswegen führen wir das ein.“ Sicher, es gab auch einige Produkte die nicht gut gelaufen sind. Nicht alle unsere Ideen waren gut und mittlerweile wissen wir, welche Ideen nicht funktioniert haben. Es ist nicht nur ein Nachteil, schon so lange dabei zu sein.

Florian: Wenn die Fragensteller den Preis für die Rechtsberatung aussuchen können, wie guckt ihr selber, dass das für beide Seiten auch fair bleibt? Besteht nicht die Gefahr, dass die Fragensteller am Ende zu viel für ihre Beratung zahlen? In der Regel werden juristische Laien die Qualität ihrer Frage nicht einschätzen können.

Micha: Uns ist wichtig, jedem Zugang zum Recht zu bieten. Ob irgendein Anwalt die Frage dabei auch für lau beantwortet hätte, spielt für den Nutzer keine Rolle. Dem ist die Beantwortung dieser Frage gerade einfach 25,00 Euro wert.

Viel häufiger kommt auch der Fall vor, dass die Nutzer nicht mehr Geld haben, um noch mehr bieten zu können. Es kann sein, dass der faire Preis für einen Anwalt 60,00 Euro gewesen wären oder mehr. Ich finde es dann trotzdem toll, dass auch diese Menschen für 25,00 Euro eine Auskunft bekommen, die sie sonst nie bekommen hätten.

Das ist für uns viel wichtiger, als dass wir jetzt genau gucken, ob das mit dem RVG passt oder ob das Haftungsrisiko im Verhältnis zu der Bezahlung steht. Manchmal ist es tatsächlich so, dass die Anwälte sagen: „Sorry, das kriegen wir so nicht hin, da findet sich keiner.“ Dann muss der Fragesteller halt mit seinem Preis hochgehen. Das ist uns lieber, als dass sich die Anwälte gegenseitig unterbieten. Anders wäre es auch frustrierend für einen Anwalt, der zig Angebote macht, aber keinen Zuschlag bekommt.


Das Interview wird fortgesetzt

News vom Legal Tech Inkubator Hannover